Ein bei Bahnarbeiten in der Schweiz entdeckter alter Gegenstand fasziniert Historiker und Ingenieure zugleich

Ein Bautrupp stösst auf etwas, das er nicht sucht, und plötzlich steht die Zeit still. Zwischen Schotter und Kabelkanal glänzt ein Stück Metall, das nicht in den Plan passt. Was als Routineeingriff an einer Bergstrecke begann, kippt in eine Erzählung aus Neugier und Stahl.

Die Form ist kantig, der Geruch nach altem Öl süßlich. Ein kleines Gehäuse aus Eiche, ummantelt von geschwärztem Eisen, verbunden durch Nieten, die niemand mehr so schlägt. Der Fund nimmt die Gegenwart an die Hand und zeigt ihr die Werkstatt der Vergangenheit.

Fundort und erster Befund

Gefunden wurde das Objekt in einem Wartungsschacht nahe Wassen, dort wo die Gotthardlinie ihre Schleifen zieht. Zwischen Drainagen und Fels lag eine versiegelte Nische, halb geflutet, halb vergessen. Darin steckte die Kiste, verkeilt mit Schiefer, eingehüllt in feinen Schlick.

Die Dendroanalyse datiert das Holz auf 1842, also Jahre vor der breiten Eisenbahn-Epoche im Alpenraum. Auf der Messingplatte stehen die Initialen K.W., eingeritzt neben einer Zahnradskizze.

Mechanik, die Fragen stellt

Im Inneren sitzen zwei Ritzel, ein Halbbogen mit Zahnstange, dazu eine federbelastete Lamellenbremse. Eine exzentrische Welle übersetzt kurze Wege in lange Impulse. Das Ganze wirkt wie eine Übung in Steigungsbeherrschung, nicht wie ein Spielzeug, eher wie ein Versuchsaufbau.

Metallurgie-Tests zeigen Schweisse mit hohem Phosphor, typisch für frühen Stahl aus kleinen Hütten. Die Abnutzung ist gering, als wäre das Gerät kaum gefahren, aber oft montiert und demontiert.

Drei Deutungen im Vergleich

Ein Teil des Teams sieht einen Prototyp für Zahnradbetrieb an steilen Rampen. Andere lesen ein Windwerk, ein handliches Hilfsmittel für Materialzüge am Hang. Wieder andere wittern ein Vermessungsgerät, das Neigungen als mechanische Impulse aufzeichnet.

Hypothese Belege (pro) Schwächen Relevanz
Frühes Zahnradbahn‑Prototyp Zahnstange, Lamellenbremse, Steigungs‑Kalibrierung Keine eindeutige Kupplung zum Fahrzeug Datierung vor bekannten Patenten
Mobiles Windwerk Übersetzung und Bremse, robuste Ösen Unklare Seilführung Praxisnahes Werkzeug am Hang
Geodätisches Messgerät Exzenter für Impuls‑Zählung, feine Skalen Mechanik wirkt zu kräftig Ergänzt frühe Trassierungs‑Methoden

„Das Stück ist ein Störenfried im Lehrbuch,“ sagt Dr. Lea Brunner, Technikhistorikerin an der Uni Zürich. „Es zwingt uns, die Chronologie der alpinen Mobilität neu zu ordnen.“

„Mich reizt die Pragmatik,“ meint SBB‑Ingenieur Matteo Rossi. „Diese Mechanik spricht die Sprache der Baustelle, nicht die der Salons.“

Stimmen aus Werkhof und Archiv

Im Werkhof riecht es nach Kreide und Bremsstaub, die Kiste steht auf einem sauberen Tisch. Nebenan tickt ein alter Wecker, den jemand zum Spaß daneben gestellt hat – Zeit neben Zeit. Ein Monteur grinst: „So etwas hätte mein Nonno geliebt – simpel, aber listig.“

Im Staatsarchiv tauchen Skizzen eines Kaspar Wetter auf, Schlosser aus Aarau, datiert 1841, mit Bogen‑Zahnstange und Klemmbacken. Die Initialen passen, die Linien auch, die Patente fehlen. Man spürt das Ringen der frühen Tüftler um Halt am Hang.

Warum das Stück zählt

Die Alpen waren nie nur Landschaft, sie waren eine Werkstatt der Notwendigkeit. Wer hier baut, lernt Steigung zu übersetzen, Reibung zu verhandeln, Gewicht zu lenken. Dieses Objekt ist eine Brücke zwischen Fingerprobe und Formel.

Es zeigt, wie nah Improvisation und Innovation beieinander liegen. Vielleicht war es ein Fehlschlag, vielleicht ein stiller Vorläufer. Beides ist für die Geschichte gleich wertvoll, weil Scheitern die Karte zeichnet, auf der Erfolg wandert.

Nächste Schritte

  • Konservierung des Holzes, 3D‑Scan der Zahnräder, Replik mittels Guss und CNC, anschließender Versuchsaufbau auf einer instrumentierten Steilrampe mit Auswertung in Kooperation von SBB, ETH und kantonalem Archiv.

„Wenn es tatsächlich ein Bindeglied zwischen Winde und Zahnrad ist, verstehen wir den Sprung besser,“ sagt Brunner. „Und wir erkennen, wie viel Wissen auf Baustellen entstand, nicht in Aulen.“ Rossi nickt: „Man liest hier die Hand, nicht die These.“

Ein stiller Impuls für morgen

Die Entdeckung hat etwas Demütiges: Sie legt nahe, dass Fortschritt mehr Schichten hat, als ein Projektplan zeigt. Dass zwischen Idee und Schiene oft ein kleiner Kasten aus Eiche steht, mit Kratzern, mit Mut.

Vielleicht wird das Teil als Prototyp enden, vielleicht als Werkzeug. Was bleibt, ist der Impuls, genauer hinzusehen, wo wir sonst nur durchfahren. Denn manchmal liegt das Nächste, was wir bauen, im Schatten dessen, was wir fast übersehen hätten.

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