In einem Finanzumfeld, das von zunehmender Volatilität geprägt ist, wurden die Märkte in diesem Jahr durch unerwartete politische Kurswechsel, Handelskonflikte und schnelle Bewertungsveränderungen erschüttert. Zwischen dem rasanten Rebound nach dem Liberation Day, dem Wiederaufleben von Zöllenrisiken und den Abwägungen in der Geldpolitik navigieren Investoren in einem Zyklus, in dem unmittelbare Unsicherheiten und strukturelle Chancen, insbesondere im Bereich Technologie und Künstliche Intelligenz, miteinander verwoben sind. Europa, lange Zeit im Rückstand, konnte seinen Performanceabstand zu den USA kurzzeitig verringern, bevor es den Effekt eines zu starken Euro spürte. In diesem sich wandelnden Umfeld bleibt die zentrale Frage, wie man sich positioniert: Wo liegen die Treiber des Wachstums, welche Risiken dominieren das Jahresende und welche Strategien sollten bevorzugt werden, um von den laufenden Transformationen zu profitieren und gleichzeitig Portfolios zu schützen? Einige Fragen an Kevin Thozet, Mitglied des Investmentkomitees von Carmignac.
Der anschließende Rebound nach dem Liberation Day war extrem schnell. Hat Sie das überrascht?
Die Schnelligkeit der Kehrtwende von Donald Trump sowie die Geschwindigkeit der Marktrreaktion haben alle überrascht. Nach der Ankündigung protektionistischer Zölle fielen die Märkte um mehr als 15%: Aktien, Dollar und T-Bills brachen ein, wodurch eine typische Korrelation der Schwellenmärkte sichtbar wurde. Da zwei der wichtigsten globalen Reservewerte geschwächt waren, ist es nicht überraschend, dass Trump rasch zu einem gemäßigteren Zollsysten zurückkehrte. In einer Logik von „Never let a good crisis go to waste“ bot diese Phase hervorragende Einstiegspunkte in die begehrtesten US-Werte, insbesondere im Bereich Technologie und Künstliche Intelligenz. Ein vorgezogener Black Friday.
Welche Absicherungsstrategien haben Sie angewandt?
Es war eine Situation, in der Bekanntes und Unbekanntes vermischten. Wir kannten das Datum der Ankündigungen, jedoch nicht deren Inhalt. Das ermöglichte es, die Portfolios entsprechend vorzubereiten. Mehrere Entscheidungen wurden getroffen: Verringerung der Dollar-Exposition, Absicherungsstrategien durch Optionen (Put-Optionen auf Indizes), Erhöhung der Goldposition und generelle Risikoreduzierung. Die Zölle haben kurz- bis mittelfristig inflationsfördernde und langfristig deflationäre Effekte, was das Interesse an Absicherungsstrategien erhöht, wenn das Datum eines Ereignisses bekannt ist; andernfalls werden diese Schutzelemente teuer. Heute, um sich in einem Umfeld von Märkten mit hohen Bewertungen und unvorhergesehenen Schocks zu schützen, wäre es weniger opportun, Optionen zu nutzen, und wir würden stattdessen lieber den Yen als defensiven Währungsanker bevorzugen oder Absicherungen im Kreditmarkt erwerben, dessen implizite Volatilität sehr niedrig ist.
In einem teuren Markt ist es besser, sich auf einzelne Unternehmen statt auf Indizes zu konzentrieren.
Zu Jahresbeginn standen Sie europäischen Märkten positiv gegenüber. War ihre Performance Ihren Erwartungen entsprechend? Und wie sieht es heute aus?
Wir waren tatsächlich positiv gestimmt gegenüber den europäischen Märkten, hauptsächlich aufgrund eines erheblichen Bewertungsabstands zu den US-Märkten mit vergleichbarem Geschäftsmodell. Die europäischen Aktien wiesen eine Diskontierung von ca. 20% auf. Das zeigte sich in Vergleichen wie Boeing/Airbus, Safran/GE oder Schneider/Eaton. Dieser Unterschied erklärt sich insbesondere durch ein regulatorisches Umfeld, das die US-Aktienmärkte begünstigt, durch die starke Beteiligung von Privatinvestoren und durch das beträchtliche Gewicht des US-Technologie-Sektors. Europäische Investoren investieren zwar viel in die USA, umgekehrt ist dies weniger der Fall. Wir haben uns daher auch für ebenso attraktive europäische Werte interessiert. Im ersten Quartal hat sich der Performance-Unterschied verringert. Die Aussicht auf eine wirtschaftliche Belebung in Deutschland, die Wiederaufnahme des Verteidigungssektors und die gute Performance der Banken unterstützten die Indizes, die insgesamt unseren Erwartungen entsprachen. Im zweiten und dritten Quartal allerdings hinkten die europäischen Märkte erneut hinter den USA hinterher. Zahlreiche Unternehmen litten unter den Zöllen, aber auch unter der Stärke des Euro, der etwa Gruppen wie L’Oréal, Adidas oder Puma beeinträchtigte. Das Gewinnwachstum wurde deutlich abgeschwächt.
Wie sehen Ihre Perspektiven für die Aktienmärkte aus?
Unser Basisszenario basiert auf gleichzeitiger fiskalischer Unterstützung in den vier größten Volkswirtschaften der Welt – USA, China, Deutschland und Japan – in einem Umfeld, in dem die Inflation anhaltend bleibt. Das nominelle BIP-Wachstum sollte sich somit in den Ergebnissen der Unternehmen widerspiegeln, mit einem Gewinn je Aktie von 10 bis 15% in Europa wie in den USA. Die Zinssenkungen, die bereits begonnen wurden oder in vielen Ländern erwartet werden, schaffen einen günstigen Rahmen für risikoreiche Vermögenswerte. Wir erwarten zudem eine allmähliche Annäherung zwischen dem europäischen Wachstum, insbesondere in Deutschland, und dem der USA, mit einer US-Wirtschaft um ca. +1,8% im Jahr 2026 und Deutschland nun erwarteten Werten von +1 bis +1,3%, deutlich über dem vorherigen Nullniveau. Geografisch bevorzugen wir die aufstrebenden Märkte, die sowohl erhebliches Wachstumspotenzial als auch attraktive Bewertungen bieten, während wir eine leichte Übergewichtung in Europa und eine relative Untergewichtung in den USA beibehalten. Thematisch bleiben Technologien – insbesondere Künstliche Intelligenz – eine wesentliche Triebfeder. Vor fünf Jahren investierten weniger als 5% der US-Unternehmen in KI; heute liegen es fast 20%, was einen erheblichen Wachstums- und Produktivitätspotenzial eröffnet.
Die großzügigen Fiskalpolitiken haben in den USA eine Einkommensdynamik mit zwei Geschwindigkeiten geschaffen.
Und China?
Die chinesischen Unternehmen, die sich intensiv dem Wettlauf um KI widmen, sind ebenfalls ein wichtiges Anlagethema, ebenso wie die Robotik.
Ein weiterer zentraler Schwerpunkt betrifft die nationale Sicherheit, mit wachsenden Bedürfnissen in Verteidigung, Elektrifizierung und Cybersicherheit. Europa leidet weiterhin unter Stromkosten, die doppelt so hoch sind wie in den Vereinigten Staaten; Frankreich bleibt in diesem Bereich gut positioniert, auch wenn Investitionen gesunken sind und durch vertragliche Abmachungen im Energiesektor eingeschränkt werden.
Die europäische Reindustrialisierung wird zu einem Schlüsselthema. Unternehmen wie Prysmian – der italienische Spezialist für elektrische Verkabelung und Telekommunikation – weisen Wachstumsraten auf, die mit denen der US-Technologie vergleichbar sind. Siemens im Bereich Ingenieurswesen verzeichnet zudem ein eingebautes Wachstum von etwa 15%, bei einer Bewertungskennzahl von rund 18 Mal, getragen von den strukturellen Trends der Automatisierung, Elektrifizierung und des Schienenverkehrs.
Was sind die Hauptrisiken, die sich gegen Ende des Jahres zeigen könnten?
Das größte Risiko sind die Bewertungen. In einem teuren Markt ist es besser, sich auf einzelne Unternehmen zu konzentrieren statt auf Indizes. Das gilt besonders im Technologiebereich, wo die Wertschöpfungsketten stark zwischen den USA und Asien verflochten sind. Nvidia ist beispielsweise auf TSMC für die Prozessorproduktion angewiesen, während koreanische Akteure wie SK Hynix eine Schlüsselposition auf dem Speicher-Markt einnehmen. In Europa ist das Ökosystem begrenzter, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen wie ASML oder SAP. In dieser Umgebung gilt es, Unternehmen aus der Hardware-Infrastruktur sowie spezialisierte Anwendungsanbieter wie Softwarehersteller zu fokussieren, zu denen auch Microsoft gehört.
Deutlich allgemeiner: Der Ölpreis hat seit Anfang 2022 eine lange Abwärtsbewegung begonnen. Seit der Erholung nach Covid im Jahr 2021 geht das globale BIP-Wachstum zurück. Ist dies ein Zeichen einer allgemeinen wirtschaftlichen Abschwächung?
Die großzügigen Fiskalpolitiken haben in den USA eine Einkommensdynamik mit zwei Geschwindigkeiten geschaffen. Bislang profitierte das Wachstum vor allem von den wohlhabendsten Haushalten. Ein anschauliches Beispiel? Vor Covid stammten 60% der Einnahmen von Delta Airlines aus der Economy Class. Heute stammen diese 60% aus der Business Class. Aber Haushalte mit niedrigeren und mittleren Einkommen sollten wieder etwas Luft bekommen, wodurch der Konsum der Basisschichten sowie Discounter-Ketten gestützt wird. Das US-Wachstum bleibt also robust, getragen von einem starken Vermögenseffekt und Maßnahmen, die Probleme beim Kaufkraftverlust adressieren. So beobachtet man eine Art „Wieder-Demokratisierung“ der Einkommensverteilung, bei der die Extreme – die Reichsten wie die Ärmsten – stärker profitieren, insbesondere dank der fiskalischen Impulse der Trump-Administration nahe den Zwischenwahlen. Für 2025 wird ein Wachstumsrückgang gegenüber 2024 erwartet. Die Signale eines Endes des Zyklus zeigen sich, aber für 2026 sollte der neue fiskalische Impuls die Aktivität wieder anziehen und den Konjunkturzyklus verlängern.
