Der See der jedes Jahr spurlos verschwindet und niemand weiss warum

Wer hier ankommt, sieht zuerst nur Wasser, Licht und Stille. Dann, Monate später, ist da plötzlich nichts als Wiese, Risse und Steine. Für Einheimische ist es Routine, für Besucher ein Wunder – und für Forschende ein Rätsel. Ein Gewässer, das sich füllt, schimmert und schließlich vollständig versickert, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Und doch bleibt die Ursache trotz Messgeräten, Karten und Theorien erstaunlich offen.

Ein Rätsel der Hydrologie

In Karstlandschaften verschwindet Wasser durch Schlucklöcher, reist in verborgenen Kanälen und taucht weit entfernt wieder auf. Manchmal bildet es Seen, die nur temporär existieren. Ein klassisches Beispiel ist das Cerkniško jezero in Slowenien, ein anderes der Lost Lake in Oregon. Auch Patagoniens Cachet II leert sich, wenn ein Eistunnel plötzlich aufbricht.

Die Mechanismen wirken ähnlich, doch die Details sind tückisch. Unter dem See liegen Gänge, Spalten und Taschen, die niemand vollständig kartiert hat. Was wie Magie wirkt, ist Geologie in Echtzeit – und trotzdem entzieht sich vieles der Messung.

Mögliche Erklärungen

  • Karst und Dolinen: Wasser verschwindet durch Ponore, wenn der Druck sinkt oder Kanäle frei werden.
  • Poröse Lava: Basaltröhren saugen den Spiegel ab, sobald der Zufluss abnimmt oder Blätterteppiche weggespült werden.
  • Gletscherhydrologie: Schmelzwasser fräst Röhren, die plötzlich kollabieren und gigantische Ablässe verursachen.
  • Sedimentstopfen: Feiner Schlamm verlegt Abflüsse – bis ein Starkregen sie wieder öffnet.
  • Wind und Verdunstung: Flachseen verlieren durch Böen und Hitze viel schneller Volumen als erwartet.

Stimmen vom Ufer

"Wenn der erste Strudel erscheint, weiß ich, dass der Sommer kommt", sagt eine Bäuerin, die ihre Kühe seit Jahrzehnten an den Rand des Beckens führt. "Der Boden bleibt danach erstaunlich fruchtbar."

"Wir haben Farbstoffe injiziert und Sensoren verlegt, doch der Untergrund ist labyrinthisch", erklärt ein Hydrologe, der die Daten mit regionalen Pegelständen vergleicht. "Ein Teil des Wassers taucht in einem entfernten Quelltopf auf, ein anderer bleibt einfach verschwunden."

"Für Kinder ist es ein Theater", sagt ein Lehrer und lacht. "Im Frühjahr Seefahrt, im Herbst Fußball auf Riesenwiese."

Was Messdaten zeigen

Satelliten sehen das Pulsieren des Spiegels in Schleifen, doch die Zeitskalen sind von Jahr zu Jahr verschoben. Regen, Schnee und Bodentemperatur greifen ineinander, während unterirdische Ventile öffnen und schließen. Tracertests deuten auf mehrere Abflusswege, deren Kapazität scheinbar spontan wechselt.

Spannend ist die Rolle von Mikro-Sedimenten, die sich wie Vorhänge verhalten. Sie dichten Risse im Frühjahr ab, werden im Sommer ausgespült und geben im Herbst die Schlucklöcher wieder frei. Das erklärt Episoden, aber nicht das beharrliche Gefühl, dass immer ein Rest ungewiss bleibt.

Vergleich mit anderen verschwindenden Seen

Ort Vermuteter Mechanismus Häufigkeit Saison des Verschwindens Besonderheiten
Cerkniško jezero, Slowenien Karst-Ponore Mehrmals pro Jahr Spätjahr/Frühjahr Riesige Feuchtfläche, Vogelparadies
Lost Lake, Oregon Lavaröhren Jährlich Spätfrühling/Sommer Sichtbare "Löcher" im Seeboden
Lake Cachet II, Chile Gletscherabfluss Unregelmäßig Variiert Plötzliche Entleerungen (GLOFs)
Loughareema, Nordirland Schlucklöcher im Torf Wechselhaft Oft nach Regen Straße über trockenen Seeboden sichtbar

Solche Vergleiche sind hilfreich, doch jeder Ort hat sein eigenes Profil. Gleiche Formen, andere Parameter: Gestein, Sedimente, Zuflüsse, Mikroklima und die unsichtbaren Räume darunter.

Warum das Ungewisse bleibt

Der Untergrund ist weder gerade noch leer, sondern gefaltet wie ein Knäuel aus Röhren, Deckeln und Taschen. Man bohrt nicht einfach hindurch, ohne das System selbst zu verändern. Jedes Messgerät stört den natürlichen Ablauf, jede Bohrung schafft neue Wege, die es zuvor nicht gab.

Hinzu kommt die Gegenwart: Klimatrends verschieben die Intensität von Regen, Schneeschmelze und Dürre. Ein Jahr wirkt stabil, das nächste kippt in Extreme. Der See wird damit zu einem empfindlichen Seismografen für das Wasser, das wir nicht sehen.

Tipps für Besucher

Wer das Schauspiel erleben will, kommt mit offenem Kalender. Die schönsten Spiegel liegen oft zwischen späten Frühlingsregen und der ersten Hitze. Beim Abfluss gilt: Abstand zu Strudeln, da der Boden überraschend nachgibt. Respektiert Uferzonen, denn hier brüten Vögel und wachsen Pflanzen, die das Becken stabil halten. Und macht Fotos mit Geduld – manchmal passiert stundenlang nichts, dann ändert sich in Minuten die gesamte Szenerie.

Am Ende bleibt eine einfache Wahrheit: Man kann den See nicht besitzen, nur bezeugen. Er gehört dem Untergrund, der Dunkelheit und den Zwischenräumen – dort, wo Wasser seine eigenen Regeln schreibt.

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