Die Nachhaltigkeit der Länder ist unverzichtbar geworden

Die systematische Analyse der ESG-Risiken ermöglicht die Bewertung der Nachhaltigkeit von Ländern, ein Muss für Investoren.

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Großmächte wie die Vereinigten Staaten und Indien entwickeln sich in Bezug auf ESG nach sehr unterschiedlichen Bahnen, wie unsere halbjährliche Rangliste der Nachhaltigkeit der aufstrebenden Länder und der OECD-Mitgliedstaaten (1) zeigt. Diese Veränderungen können nicht länger ignoriert werden. Einerseits, weil seit der Staatsschuldenkrise von 2008 Länder immer öfter im Hinblick auf ihre ESG-Politiken analysiert werden. Andererseits berücksichtigen die Bonitätsratingagenturen nun die Risiken des Klimawandels in ihren Bewertungen.

Die USA im Rückgang

In der aktuellen Rangliste rutschen die Vereinigten Staaten vom 29. auf den 34. Platz unter den OECD-Mitgliedstaaten, mit einer zusammengesetzten Punktzahl von 53,2. Dieser Rückgang erklärt sich durch eine anhaltende Schwäche in der Bevölkerungs-Gesundheit, der Vermögensverteilung, der Transparenz und der demokratischen Werte, während das Land in Bildung, Innovation und einigen Umweltindikatoren gut abschneidet.

Im Bereich „Bevölkerung, Gesundheit und Vermögensverteilung“ zählen die Gesundheitskennzahlen zu den niedrigsten innerhalb der USA, ebenso wie ihre Governance-Indikatoren. Obwohl das Land etwa 17% seines BIP für Gesundheitsversorgung aufwendet, die höchste Quote unter den OECD-Ländern, liegen seine Säuglings- und Müttersterblichkeitsraten jeweils auf dem 6. bzw. 5. Rang der 38 OECD-Länder.

Diese Ergebnisse zeigen, dass das Gesundheitssystem ineffizient ist, die Versorgungslage lückenhaft und der Zugang zu primärer Gesundheitsversorgung und Prävention sehr ungleich verteilt ist. Die USA gehören außerdem zu den am stärksten ungleichen Volkswirtschaften der OECD, mit einem Gini-Koeffizienten von 0,418. Sie sehen sich zudem mit Herausforderungen beim Zugang zu Wohnraum konfrontiert.

Beeinträchtigte demokratische Werte

Was den Bereich „Transparenz und demokratische Werte“ betrifft, befinden sich die USA im vierten Quartil in Bezug auf Transparenz, Vertrauen in Institutionen und demokratische Regierungsführung. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Regierung und Medien hat sich erheblich verringert. Die Pressefreiheit nimmt Jahr für Jahr ab und erreicht ein historisch niedriges Niveau.

Das Land gehört zu den letzten zehn OECD-Mitgliedsländern in Bezug auf Pressefreiheit, bedingt durch das Problem von Desinformation und zunehmende Einschränkungen gegenüber der Presse. Darüber hinaus haben jüngste Maßnahmen wie Informationsverbreitungsbeschränkungen durch das Pentagon gegenüber akkreditierten Journalisten Bedenken hinsichtlich der Transparenz der Regierung und des Schutzes der im ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten vorgesehenen Rechte (insbesondere der Meinungsfreiheit) aufgeworfen. Weitere Probleme bestehen auch im Bereich Governance, insbesondere hinsichtlich Inklusion oder Gleichbehandlung, Bereiche, die besonders Migrantenarbeitnehmern und ihren Gemeinschaften betreffen.

Führende Stellung in der Innovation erhalten

Die Vereinigten Staaten haben sich auch im Umweltbereich zurückentwickelt und rutschten im zweiten Halbjahr 2024 von Platz 20 auf Platz 26 im zweiten Halbjahr 2025. Der Abbau wichtiger Umweltvorschriften und der Austritt aus dem Pariser Abkommen haben neue Unsicherheiten hinsichtlich des Umweltfortschritts der Vereinigten Staaten geschaffen.

Im Gegenzug erzielen sie gute Ergebnisse im Bildungs- und Innovationsbereich. Sie gehören zu den acht führenden OECD-Mitgliedsländern in Bezug auf den Erfolg im Hochschulbereich und die Bildungsausgaben. Mit 3,6% des BIP, die in Forschung und Entwicklung investiert werden, behalten die Vereinigten Staaten ihre Führungsposition im Bereich Innovation.

Indien macht Fortschritte

Der ESG-Score Indiens steigt kontinuierlich und betrug im zweiten Halbjahr 2023 49/100 und liegt im aktuellen Ranking bei 57/100. Somit befindet sich Indien erstmals im dritten Quartil der Gruppe der aufstrebenden Länder.

Seine Ergebnisse im Umweltbereich sind gemischt, was sich teilweise durch die Abhängigkeit von Kohle erklärt, die etwa 46% der Energieversorgung ausmacht. Obwohl seine CO2-Emissionen pro Kopf im internationalen Vergleich relativ niedrig sind, ist Indien zum drittgrößten CO2-Emittenten der Welt geworden. Positiv zu vermerken ist jedoch, dass es in den letzten zehn Jahren seine Kapazität zur Erzeugung erneuerbarer Energien verdreifacht hat; dieser Aufwand muss fortgesetzt werden, wenn das Land seine Ziele für 2030 erreichen will.

Aber einige Schwächen bestehen weiter

Im Bereich „Bevölkerung, Gesundheit, Vermögensverteilung“ hat Indien deutliche Fortschritte gemacht, insbesondere bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit und der Einkommensungleichheiten. Darüber hinaus hat der Anteil der Menschen, die unterhalb der extremen Armutsgrenze leben, stark abgenommen. Diese guten Ergebnisse könnten jedoch strukturelle Phänomene verschleiern, die andauern, wie informelle Beschäftigung und regionale Unterschiede.

Indien hat Fortschritte beim Zugang zur Bildung verzeichnet. Beim Primarunterricht ist der Zugang mittlerweile nahezu universell und auch im Sekundarbereich sowie im dritten Zyklus nimmt die Zahl der Einschreibungen zu. Allerdings bleiben die Abschluss- bzw. Erfolgsquoten eines Bildungszyklus besorgniserregend, insbesondere ab der Mitte der Sekundarstufe.

Im Bereich „Transparenz und demokratische Werte“ zeigen die Governance-Indikatoren ein stark kontrastreiches Bild. Selbst wenn Indien weiterhin als dynamische Demokratie gelten kann (regelmäßige Wahlen, aktive Zivilgesellschaft), leidet seine Governance unter zahlreichen Lücken und es gibt Druck auf Grundrechte. International ist das Land nicht Unterzeichner des Rom-Statuts und erkennt die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) nicht an. Es hat auch den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) nicht unterzeichnet. Schließlich ist die Pressefreiheit bedroht; Indien liegt 151. von 180 Ländern im weltweiten Ranking der Pressefreiheit, das 2025 von Reporter ohne Grenzen veröffentlicht wurde.

(1) Dieses Ranking basiert auf einem von DPAM entwickelten Modell, das die Nachhaltigkeit jedes Landes seit 2007 bewertet. Unserer Ansicht nach gilt ein Land als „nachhaltig“, wenn es sich verpflichtet, die Freiheit seiner Bürger zu garantieren und über ein angemessenes Sozialsystem verfügt, die Umwelt und seine internationalen Verpflichtungen in diesem Bereich respektiert und in die Zukunft investiert, insbesondere für kommende Generationen.

(2) Der Gini-Koeffizient variiert zwischen Null (vollständige Gleichheit) und Eins (extreme Ungleichheit).

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