Niemand erwartete, dass ein abgelegenes, aber widerständiges Dorf im Alpenkanton eine so grundsätzliche Kehrtwende wagt. Inmitten von Fichten, Felsen und Fernweh hat die Gemeinde eine Entscheidung getroffen, die zugleich pragmatisch und kühn wirkt.
Es geht um Selbstbestimmung, um Klimarealität und um das alte Recht, die eigene Zukunft neu zu schreiben. Was gestern nach Utopie klang, wird jetzt politischer Alltag.
Der Wendepunkt
Die Gemeindeversammlung stimmte mit deutlicher Mehrheit dafür, den Ski-Betrieb einzustellen und das Gebiet in eine ganzjährige, sanfte Berglandschaft zu verwandeln. Ein Schritt, der die Identität des Ortes nicht auslöschen, sondern erneuern soll.
„Wir wählen nicht den Rückzug, wir wählen die Resilienz“, sagte die Gemeindepräsidentin unter langem Applaus.
Was genau beschlossen wurde
Kern des Beschlusses ist der Abschied von der Schneeabhängigkeit und der Aufbau eines lokalen Kreislaufs. Dazu kommen Energie, Mobilität und Wohnen als ineinandergreifende Bausteine.
- Fünf Eckpfeiler: Rückbau alter Lifte, Ausbau von Agroforst– und Weidewegen, 100% Gemeindestrom aus Wasser, Sonne und Holz, autofreier Dorfkern mit Shuttle, Genossenschaftswohnungen für Einheimische
Vorher und Nachher im Überblick
| Bereich | Früher: „So war’s“ | Ab 2026: „So wird’s“ |
|---|---|---|
| Tourismus | Wintersport mit kurzer Saison | Ganzjahres-Wandern, Kultur, Handwerk |
| Energie | Netzstrom, fossile Spitzenlasten | Lokale Erzeugung, Speicher, Lastmanagement |
| Mobilität | Parkplätze im Zentrum | Car-Free Kern, E-Shuttle, Bike-Logistik |
| Wirtschaft | Abhängigkeit von Schnee und Lifts | Diverser Mix aus Landwirtschaft, Pflege, Digitalem |
| Wohnen | Ferienwohnungen, Preisdruck steigend | Genossenschaftlich, Mietpreis-Bindung |
Die Tabelle zeigt, wie aus einer Monokultur ein widerstandsfähiger Organismus werden soll. Es geht nicht um Verzicht, sondern um Verteilung von Chancen über das ganze Jahr.
Warum jetzt?
Der Schnee kommt später, bleibt kürzer, kostet mehr. Die letzten drei Winter waren „wirtschaftlich wacklig“ und „ökologisch teuer“, wie der Kassenbericht belegt.
Dazu kommen Wartungsberge bei Liftmasten und knappe Fachkräfte. Statt das Loch mit Subventionen zu füllen, will das Dorf die Leiter näher an den Himmel bauen: Energie, Boden, Bildung.
„Es ist mutig, aber das Mutigste wäre, nichts zu tun“, sagt eine Wirtin, die den Winter gern hatte, aber noch lieber Gäste im Frühling sieht.
Stimmen aus dem Dorf
„Wir begraben kein Erbe, wir pflanzen ein Neues,“ meint der Förster, der den Rückbau mit Wertstoff-Trennung plant.
Ein junger Landwirt sagt: „Mit Agroforst kann ich Futter sichern und Schatten spenden. Kühe lieben Lärchen.“
Die Älteste im Dorf: „Früher war hier Stille, dann Lärm, jetzt wieder Stimmen. Ich höre Zukunft.“
Nicht alle sind begeistert, einige fürchten um Arbeitsplätze und Gästezahlen. Aber der Plan enthält Umschulungen, einen Fonds für Übergänge und Partnerschaften mit Nachbarorten.
Geld, Zeit, Verantwortung
Die Finanzierung ist ein Puzzle aus Gemeindemitteln, kantonalen Programmen, privaten Genossenschaften und einem Bürgerdarlehen. Die Rückzahlung soll über Energieerlöse und Pacht fließen.
Der Zeitplan ist absichtlich ehrlich: Drei Jahre Umbau, fünf Jahre Einlaufen. „Wir verkaufen keine Wunder, wir liefern Wegstrecken“, sagt die Präsidentin.
Was bleibt, was sich ändert
Bleiben sollen die Wege, die Feste, die Geschichten. Ändern soll sich, wie Arbeit, Raum und Ressourcen zusammenfließen.
Das Dorf testet eine lokale Währung, gültig bei Bäcker, Shuttle und Werkstatt. Nicht als Folklore, sondern als Stoßdämpfer gegen externe Schocks.
Was andere lernen könnten
Die Entscheidung ist kein Exportprodukt, aber ein Signal. Topografie, Kultur und Klima unterscheiden sich, doch die Fragen ähneln sich überall.
- „Wem gehört die Zukunft?“ – „Allen, die sie bauen wollen.“
Blick nach vorn
Die ersten Lifte werden im Herbst demontiert, und gleich daneben entsteht ein Lehrpfad über Wasser, Holz und Wind. Kinder werden Führungen geben, weil sie es am besten erklären.
Im neuen Gemeindehaus hängt schon der Fahrplan: Reparaturwerkstatt, Kulturabende, Kurs „Buchhaltung für Schafhalter“. Das klingt klein, doch es ist konkret.
Wenn der erste Winter ohne Pisten kommt, wird es still sein und hell. Dann sieht man, was der Schnee so oft verdeckt hat: Ein Tal, das mehr kann als nur weiß sein. Und Menschen, die den Mut haben, das Mehr zu wollen.
