Die Jahresendrücke sind ein geeigneter Moment, das vergangene Geschäftsjahr Revue passieren zu lassen. Obwohl sich die Marktbeobachtung dieses Jahres weitgehend auf die Leistungen der US-Technologiewerte konzentriert hat, stehen die Ergebnisse mehrerer europäischer Finanzwerte denen der Techwerte in nichts nach. Erläuterungen mit Christophe Braun, Portfoliomanager bei Capital Group, der auch erläutert, warum europäische Banken 2026 weiterhin von den Konjunkturpaketen in Europa und von einem insgesamt günstigen Zinsniveau profitieren sollten.
Welche sind die Hauptfaktoren, die die Entwicklung der Aktienkurse der Finanzwerte in den kommenden Monaten beeinflussen werden?
Wie Sie sicherlich wissen, sind Banken von Natur aus zyklisch. Und Finanzinstitute insgesamt entwickeln sich gut, wenn die wirtschaftliche Konjunktur günstig ist. Wenn wir von europäischen Banken sprechen, müsste man eigentlich auch die Konjunktur in Europa berücksichtigen. Eine der auffälligsten Marktbewegungen im Jahr 2025 ist der deutliche Kontrast zwischen den europäischen Banken und den „Magnificent Seven“.
„UniCredit ist seit Jahresbeginn um rund 77% gestiegen, und Deutsche Bank hat fast 93% gewonnen, was eine robuste Profitabilität, hohe Eigenkapitalrenditen und das Vertrauen der Investoren widerspiegelt.“
Während die Tech-Giganten dieses Jahr gemischte oder bescheidene Leistungen gezeigt haben, steigen die führenden europäischen Banken durch die Decke. UniCredit ist seit Jahresbeginn um rund 77% gestiegen, und Deutsche Bank hat fast 93% gewonnen, was eine robuste Rentabilität, hohe Eigenkapitalrenditen und das Vertrauen der Investoren widerspiegelt. Diese Divergenz veranschaulicht, wie der Finanzsektor – traditionell zyklisch – im aktuellen europäischen Wirtschaftsumfeld floriert und selbst die renommiertesten Namen der US-Technologie übertrifft.
Was hat es den europäischen Banken ermöglicht, sich zu erholen?
Es lohnt sich, einige Jahre zurückzublicken. Erstens haben die Banken nach der Staatsschuldenkrise – die vor allem Griechenland betraf – ihre Bilanzen seit 2011 weiter bereinigen müssen. Sie sahen sich höheren Eigenkapitalanforderungen ausgesetzt. Nach dieser Staatsschuldenkrise, die auch andere Länder der Eurozone traf, hatten viele Banken Solvenzprobleme.
Es wurde zweitens beschlossen, Kapital zu bilden. Natürlich bedeutet es für eine Bank, dass eine Einrichtung mehr Geld in der Bilanz haben muss, mehr als sie sich wünscht, was das Wachstum immer bremst. Man kann nicht mit diesem Kapital arbeiten, man kann nicht investieren. Das lähmt in der Regel das Wachstum.
Drittens mussten seit der Finanzkrise 2008 viele Banken in unrentable Bereiche ausscheiden und anschließend Kosten senken. Kostenreduktion war etwas, das die Bankenwelt in den vorangegangenen Jahrzehnten nie wirklich in Angriff genommen hatte. Man sprach stets von Wachstum, davon, Marktanteile zu gewinnen. Was letztlich für den Bankensektor sehr vorteilhaft war, war die Covid-Pandemie. Covid war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt.
Warum?
Weil die Inflation zurückkehrte, und es zu einer Erhöhung der Zinssätze kam. Die Inflationserhöhung und die Zinserhöhungen waren eine Chance für die Banken. Die sich daraus ändernden Rahmenbedingungen waren eindeutig vorteilhaft für die Banken. Deshalb beobachten wir seit 2021 eine Performance, die auf dieser Gewinn-Dynamik beruht.
„Die Senkung der Zinssätze in Europa, von 4% auf 2%, hat einen Sweet Spot geschaffen.“
Während viele andere Branchen wie Luftfahrt oder Tourismus stillstanden, befand sich die Finanzwelt plötzlich in einer hervorragenden Position – insbesondere weil viele Banken in den vorangegangenen Jahren ihre Hausaufgaben erledigt hatten. So entstand diese Überperforfance dank der Gewinn-Dynamik, das heißt dem plötzlichen Anstieg des Gewinns je Aktie, zu dem sich natürlich der Zinssatzvorteil, Aktienrückkäufe usw. gesellten.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Jahre der Restrukturierung des Bankensektors, insbesondere in Europa, ergänzt durch ein natürlich sehr günstiges makroökonomisches Umfeld in Europa, den Banken des alten Kontinents deutlich geholfen haben. Die Struktur der Zinssätze bzw. die Zinskurve ist entscheidend für die Rentabilität der Banken.
Wenn die Zinssätze jetzt oder 2026 wieder sinken – wie wir kürzlich mit der US-Notenbank gesehen haben und zuvor auch bei der EZB in Europa – bedeutet das, dass das Umfeld für Banken weniger günstig wird?
Viele Menschen glauben, dass hohe Zinssätze den Banken zugutekommen. In Wirklichkeit ist das jedoch nicht so einfach, denn wenn die Zinssätze zu hoch sind, dämpfen sie auch den Konsum. Es ist vielleicht nicht mehr möglich, vorteilhafte Finanzierungskonditionen zu erhalten. Wenn Sie zum Beispiel ein Haus kaufen möchten und die Zinssätze zu hoch sind, neigen Sie dazu, Ihre Entscheidung zu verschieben. Sie würden das Haus dann nicht kaufen, weil Sie sich unter diesen Bedingungen nicht verschulden möchten. Sie ziehen es vor zu warten. Nachdem die Zinssatzerhöhungen in Europa erfolgt sind, sanken diese rasch wieder, weil die Inflation nachließ. Man kann sagen, dass Zinssätze und die Zinsstrukturkurve für Banken essenziell sind. Kurzfristige Zinssätze bestimmen die Margen, und eine steilere Zinsstrukturkurve erhöht die Einnahmen der Banken.
In der Schweiz hört man gelegentlich von Privat- und Kantonalbanken Klagen über das Zinssniveau, nachdem die SNB ihre Zinssätze auf Null gesenkt hat. Sind im Vergleich dazu die in Europa bei 2% liegenden Zinssätze noch auf einem günstigen Niveau?
Genau, ich denke, dieser Rückgang der Zinssätze in Europa, von 4% auf 2%, hat fast einen Sweet Spot geschaffen. Auf der einen Seite ermöglicht dieses Niveau den Banken, weiterhin solide Margen zu erzielen. Auf der anderen Seite ist es niedrig genug, um die Nachfrage der Konsumenten nicht zu beeinträchtigen. Und Unternehmen müssen ebenfalls Geld leihen, um sich zu finanzieren und zu investieren.
Aktuell scheinen 2% ein idealer Punkt zu sein, der beiden Seiten gut passt. Die Banken erzielen weiterhin solide Margen. Anderseits ermöglicht dieses Niveau auch Unternehmen und Privathaushalten eine Finanzierung zu durchaus vernünftigen Konditionen. Wenn die Zinssätze in Europa annähernd auf diesem Niveau bleiben, wäre dies ein eher günstiges Umfeld für europäische Bankaktien. Aber darunter nicht. Ich denke auch nicht, dass sie deutlich weiter sinken könnten. Natürlich machen der politische Kontext und die geopolitische Unsicherheit es Zentralbanken jedoch äußerst schwierig.
Wie schätzen Sie derzeit die Bewertungen europäischer Aktien ein?
Aus Sicht der Aktienbewertungen war Europa schon immer attraktiv. In den letzten Jahren waren die Bewertungen in Europa im Vergleich zu den USA eher günstig. Und das erklärt sich so: Europa hatte in den letzten Jahren tatsächlich einige Schwächen. Amerika hatte wahrscheinlich viel mehr Stärke. Heute ordnet sich die Situation etwas aus. In den USA bleibt die Konjunktur robust und die Arbeitslosenquote relativ niedrig. Doch auch in Europa beobachten wir, dass das Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Länder wieder zunimmt.
„Zwei Fünftel aller dividendenzahlenden Unternehmen sind Banken oder Finanzinstitute.“
Spanien hat sich seit der Pandemie sehr gut erholt. Es verzeichnet daher ein schnelleres Wachstum. Das ist gut, denn in den vergangenen Jahren war Europa stark von Deutschland abhängig. Es war auch in gewissem Maße von Frankreich abhängig. Diese Länder waren die Haupttreiber des Bruttoinlandsprodukts und die Hauptproduzenten. Deutschland bleibt derzeit etwas schwächer, ebenso Frankreich. Umso erfreulicher ist, dass sich andere periphere Volkswirtschaften, wie Spanien und Italien, nun besser positionieren. Wir beobachten auch zum Beispiel, dass die Arbeitslosenquote weiter sinkt – insbesondere in Spanien und Italien. Die Arbeitslosigkeit geht also auch in der Eurozone zurück. Das ist natürlich eine gute Grundlage, denn weniger Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Kaufkraft für Verbraucher und Bevölkerung in Europa.
Genügt das, um Europa neuen Schwung zu geben?
Das schafft natürlich Vertrauen. Vertrauen und Konsum treiben das Wachstum an, ziehen Investitionen und Kapital an. Ich denke, auch die Banken werden davon profitieren. Es wird deutlich, dass die Nachfrage nach neuen Krediten von Unternehmensseite steigt, weil die Konditionen attraktiver sind. Und dort kommt das große Thema ins Spiel: das Steuergeschenkpaket in Deutschland.
Was erwarten Sie von den deutschen Konjunkturmaßnahmen?
Dies ist das entscheidende Szenario, das wir derzeit in Deutschland sehen – nämlich das Ende der Haushaltskürzungen und der „Schwarze Null“ – und es wird sich erst jetzt auswirken. Wir müssen investieren, wenn wir wettbewerbsfähig und attraktiv bleiben wollen. Die Unternehmen müssen wieder investieren.
Und ich denke, dieser Infrastrukturfonds, der eingerichtet wird, wird dem Wachstum einen enormen Schub verleihen – sowohl für Deutschland als auch für Europa. Das gilt auch für andere europäische Unternehmen, die natürlich von diesem Investitionszyklus stark profitieren werden. Und in einem kapitalistischen System spielen Banken eine sehr wichtige Rolle und werden daher ebenfalls profitieren.
Was Deutschland selbst betrifft, könnte man fast von einer deutschen industriellen Renaissance sprechen. Und natürlich darf man auch die NATO-Mitgliedsstaaten nicht vergessen, die beschlossen haben, stärker in Ausrüstung und Verteidigung zu investieren. Das wird natürlich sehr wichtig und für viele Industrien äußerst profitabel sein.
Fürchten Sie also noch nicht die Entstehung einer Spekulationsblase bei den Aktien der Rüstungsindustrie?
Natürlich kann man immer von Blasen und Risiken sprechen. Es ist wichtig, bei der Bewertung sehr diszipliniert zu bleiben. Absolut. Eigentlich sollte man eher von einem Wachstumsmotor sprechen. Deutschland verfügt insgesamt über 500 Milliarden Euro zu investieren. Das entspricht etwa 12% des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
„Es gibt auch Versicherer und diversifizierte Finanzgesellschaften, wie Visa, Mastercard und American Express, sowie führende Versicherer mit einer starken Dividendenkultur, wie Allianz, AXA, Zurich Insurance Group und Prudential.“
Und das wird die europäische Wirtschaftslandschaft neu definieren. Wenn man annimmt, dass 50% dieser Summe, also 250 Milliarden Euro, bis 2029 ausgegeben werden müssen, bleibt die Frage, ob dies so rasch umgesetzt werden kann. Man kann nur hoffen, dass es effizient geschieht. Deutschland ist jedenfalls in der Lage, massiv zu investieren.
Pour en revenir brièvement au secteur financier en Europe, il y a toujours ce débat pour savoir si la rentabilité des valeurs financières est tirée davantage par la banque de détail – c’est-à-dire par les crédits à la consommation, les hypothèques, etc. – ou, comme aux Etats-Unis, principalement par les activités de banque d’investissement, par exemple par le biais d’introductions en bourse, d’opérations de fusion-acquisition?
Vor der globalen Finanzkrise verfügte Europa über ein gewisses Know-how im Bereich Investment Banking. Natürlich wurde dies nach der Finanzkrise 2008-2009 für viele europäische Banken zu einer unrentablen Aktivität. Es war daher notwendig, sich auf die Kernkompetenzen und Hauptaktivitäten zu konzentrieren. Doch das war letztlich eine gute Sache, denn man dachte oft zu schnell, dass man im Bereich Investment Banking Großes mitreden müsse. Selbst in den USA hatten nach der Finanzkrise nur sehr wenige Investmentbanken Erfolg in diesem Segment. Ich denke an J.P. Morgan. Es gibt weitere Beispiele. Aber viele Institute mussten sich auf andere Segmente konzentrieren und sich stärker neu positionieren.
In Europa gibt es weitere Bereiche, in denen europäische Banken punkten können. Sie müssen in erster Linie auf die Kernkompetenzen fokussieren, wie in den letzten Jahren. Und ich denke, dass die europäischen Finanzinstitute dann großen Erfolg haben werden. Strukturreformen und fiskalpolitische Stimulusmaßnahmen bieten viele Möglichkeiten, und in Europa können Finanzinstitute im aktuellen Umfeld bereits sehr leistungsstark und rentabel sein.
Capital Group publie régulièrement des études sur le thème des dividendes. Comment cet aspect peut-il être pris en compte dans une stratégie d’investissement?
Wenn man nicht nur die europäischen Banken betrachtet, sondern auch das globale Dividendenumfeld, haben viele Unternehmen ihre Dividenden erhöht oder sie zumindest auf einem stabilen Niveau gehalten. Ungefähr 88% aller weltweit dividendenzahlenden Unternehmen haben im dritten Quartal entweder Dividenden erhöht oder auf einem stabilen Niveau gehalten. 88% – das ist viel. Außerdem, wenn man alle dividenden zahlenden Unternehmen betrachtet, machen Finanzinstitutionen ungefähr zwei Fünftel aus. Damit sind zwei Fünftel aller Unternehmen, die Dividenden zahlen, Banken oder Finanzinstitute.
Natürlich gibt es auch Versicherer und diversifizierte Finanzunternehmen, wie Visa, Mastercard und American Express, sowie führende Versicherer mit einer starken Dividendenkultur, wie Allianz, AXA, Zurich Insurance Group und Prudential. Diese Unternehmen sind weithin bekannt für ihre regelmäßigen Dividendenzahlungen und in vielen Fällen für deren schrittweise Erhöhung im Laufe der Zeit. Ihre robusten Cashflows und ihre soliden Bilanzen ermöglichen es ihnen, Dividenden auch in Zeiten von Marktturbulenzen beizubehalten oder zu erhöhen.
Für Investoren kann diese Stabilität ein zentrales Element einer einkommensorientierten Strategie sein. Die Integration von dividendenzahlenden Finanzinstituten in ein Portfolio kann die Gesamtrendite verbessern, die Volatilität senken und langfristig einen beständigen Einkommensfluss bieten. Tatsächlich zeigen Untersuchungen von Capital Group, dass Dividenden historisch eine bedeutende Rolle bei langfristigen Aktienrenditen gespielt haben, was sie zu einem wesentlichen Kriterium für Anleger macht, die sowohl Wachstum als auch Einkommen suchen.
