Eine verborgene Hydrosphäre
Unter unseren Füßen verbirgt sich ein gewaltiges Wassersystem, tief im Erdinneren. Was an der Oberfläche wie eine vertraute Welt aus Meeren wirkt, hat ein noch größeres Pendant in der Tiefe, rund 700 Kilometer unter uns.
Dieser unterirdische „Ozean“ ist kein Meer aus Wellen, sondern ein riesiger Wasserspeicher im Gestein. Seine geschätzte Menge übertrifft die Oberflächenmeere um ein Vielfaches und verändert unser Bild vom irdischen Wasserhaushalt.
Die Entdeckung
Ein Netzwerk aus mehr als 2000 Seismografen registrierte Signale von rund 500 Erdbeben quer durch einen Kontinent. Diese seismischen Wellen verlangsamen sich, wenn sie durch „nasses“ Gestein laufen, und verraten so die Präsenz von gebundenem Wasser in großer Tiefe.
Genau dort, nahe der Grenze zwischen Übergangszone und unterem Mantel, zeigt sich ein bemerkenswerter Hinweis: Mineralien wie Ringwoodit speichern Wasser in Form von Hydroxylgruppen im Kristallgitter. Das ist kein freies Wasser, sondern ein gigantischer, strukturell gebundener Vorrat.
Was „Ozean“ im Fels wirklich bedeutet
Der Begriff „Ozean“ beschreibt hier die schiere Menge, nicht eine flüssige Wasserfläche. In Ringwoodit kann Wasser in mikroskopischen Zwischenräumen oder als chemisch gebundenes H und O existieren, verteilt über riesige Volumina.
„Das ist ein handfester Beleg dafür, dass ein Teil des irdischen Wassers aus dem Inneren unseres Planeten stammt.“
Diese Einsicht erklärt, warum das Volumen der Ozeane an der Oberfläche über geologische Zeiträume relativ stabil blieb. Der tiefe Mantel wirkt als Puffer, der Wasser aufnimmt, speichert und wieder an die Kruste zurückgibt.
Ein neuer Blick auf den Wasserkreislauf
Der „tiefe Wasserkreislauf“ ergänzt den bekannten oberflächennahen Kreislauf aus Verdunstung, Wolken und Regen. Subduzierende Platten transportieren Wasser in Form von Mineralhydraten in den Mantel, wo es gebunden wird und später über Vulkanismus wieder entgast.
So beeinflusst Wasser im Mantel die Viskosität von Gestein, fördert partielle Schmelzen und steuert Vulkan- sowie Plattentektonik. Es ist ein unsichtbarer, aber zentraler Motor der Erdentwicklung.
- Mehr Wasser im Mantel bedeutet eine veränderte Schmelztemperatur von Gesteinen und damit andere Vulkanstile.
- Gebundenes Wasser schwächt Mineralstrukturen und erleichtert das Gleiten der Platten.
- Langfristige Pufferung stabilisiert den globalen Meeresspiegel und das Klima der Erde.
- Die chemische Entwicklung der Kruste hängt von Tiefenwasser und Mantel-Schmelzen ab.
Methoden und offene Fragen
Seismische Tomografie macht Unterschiede in Geschwindigkeit und Dämpfung sichtbar, die auf „nasses“ Gestein hindeuten. Ergänzende Laborversuche mit Diamantstempelzellen reproduzieren Druck und Temperatur der Übergangszone und zeigen, wie Ringwoodit Wasser aufnehmen kann.
Spektakulär war auch der Fund wasserhaltiger Ringwoodit-Einschlüsse in einem tiefen Diamanten, der direkte Hinweise auf gebundenes Wasser liefert. Ungeklärt bleiben Verteilung, Konnektivität und regionale Unterschiede der Speicher in verschiedenen Subduktionssystemen.
Ausblick
Mit global verknüpften Messnetzen, dichterer Stationierung und Hochleistungs-Auswertung wird die Karte der Mantel-Feuchtigkeit schärfer. Künftige Modelle verbinden Seismologie, Mineralphysik und Geochemie zu einem umfassenden Bild der Tiefen-Hydrosphäre.
Die Erkenntnis ist zugleich nüchtern und poetisch: Ein Teil unseres Wassers kam nicht nur von Kometen, sondern stammt aus dem Herzen der Erde. In den Tiefen ruht ein stiller Ozean, der das Antlitz der Oberfläche seit Milliarden Jahren prägt.
