Wer in der Schweiz Auto fährt, kennt das Ritual: anhalten, tanken, zahlen, weiterfahren. Doch dieses vertraute Bild könnte schon bald verschwinden.
Während kaum jemand es bemerkt, läuft im ganzen Land eine Revolution ab – leise, effizient und unumkehrbar. Die klassische Tankstelle, wie wir sie kennen, steht vor dem Ende.
Und der Grund dafür liegt nicht nur in der Elektromobilität, sondern in einem viel grösseren Wandel.
Der Strom ersetzt den Sprit – aber anders, als viele denken
Inzwischen sind in der Schweiz über 160 000 Elektrofahrzeuge zugelassen – Tendenz steigend. Doch der eigentliche Umbruch geschieht im Hintergrund: Neue Technologien erlauben es, das Auto dort zu laden, wo man lebt oder arbeitet – nicht mehr an Tankstellen.
Wohnquartiere, Tiefgaragen, Supermärkte und sogar Strassenlaternen werden zu Ladepunkten. Der Strom fliesst automatisch, oft nachts, wenn der Preis am niedrigsten ist. „In wenigen Jahren wird das Laden genauso unsichtbar sein wie das WLAN“, erklärt ein Energieexperte der ETH Zürich.
Schon jetzt testen mehrere Kantone intelligente Stromnetze, die erkennen, wann das Auto angeschlossen ist – und es nur dann laden, wenn genug Energie aus erneuerbaren Quellen verfügbar ist. Das spart Geld, schont das Netz und macht Tankstopps überflüssig.
Wenn Tankstellen überflüssig werden
Die grossen Ölkonzerne reagieren nervös. Shell, BP und Avia haben in der Schweiz begonnen, ihre Standorte umzubauen. Viele klassische Tankstellen werden in den kommenden Jahren verschwinden oder umfunktioniert – zu Ladeparks, Mini-Märkten oder Solardepots.
Ein Brancheninsider verrät: „Wir rechnen damit, dass bis 2035 mehr als die Hälfte aller Tankstellen in der Schweiz schliessen oder ihr Geschäftsmodell radikal ändern wird.“
Schon heute gibt es Städte – etwa Zug, Lausanne oder Winterthur – in denen die Mehrheit der Elektroautofahrer nie mehr eine Tankstelle ansteuert. Sie laden zu Hause, im Büro oder beim Einkaufen.
Und auch der Bund plant vor: Neue Bauvorschriften verlangen, dass bei fast jedem Neubau Ladeinfrastruktur vorgesehen wird. Selbst alte Gebäude können über Förderprogramme nachgerüstet werden.
Energie aus Sonne, Wind – und vom eigenen Dach
Der Strom der Zukunft kommt nicht mehr aus der Zapfsäule, sondern direkt vom Dach. Immer mehr Schweizer kombinieren ihr Elektroauto mit einer Solaranlage. Tagsüber produziert das Haus Energie, nachts lädt das Auto – ganz ohne fossile Brennstoffe.
In Kantonen wie Bern, Aargau oder Waadt fördert der Staat solche Systeme massiv. Der Effekt ist enorm: Wer heute sein Auto mit Solarstrom lädt, spart bis zu 80 % der jährlichen Energiekosten gegenüber Benzin oder Diesel.
Und das ist erst der Anfang. Forscher arbeiten an bidirektionalen Ladesystemen – Autos, die nicht nur Energie speichern, sondern sie bei Bedarf ins Netz zurückgeben. Das macht jedes Fahrzeug zu einem kleinen Kraftwerk.
Das Ende einer Ära – und der Beginn einer neuen
Noch in den 1990er-Jahren galt die Tankstelle als Symbol des Fortschritts. Heute wird sie zum Relikt einer anderen Zeit. In wenigen Jahren wird niemand mehr sagen: „Ich gehe tanken.“ Stattdessen wird das Auto einfach laden – still, automatisch, überall.
Für viele bedeutet das mehr Freiheit, weniger Kosten und weniger Abhängigkeit. Aber es bedeutet auch Abschied: von Benzingeruch, Zapfhähnen und Preisschildern, die täglich schwanken.
Die stille Revolution hat längst begonnen. Sie ist nicht laut, sie hat keine Werbung nötig – sie passiert im Alltag. In Garagen, auf Parkplätzen, in Steckdosen.
Und vielleicht merkt man erst in ein paar Jahren, wie radikal sie wirklich war. Wenn man plötzlich merkt, dass man schon lange nicht mehr an einer Tankstelle war – und sie auch nicht mehr vermisst.
